Warum wir wieder in die Luft müssen

Wie wird die Nachfrage nach Flugreisen mittelfristig ausfallen – also dann, wenn wir die Coronapandemie hoffentlich überwunden haben? Die Frage ist berechtigt und treibt Branche und Experten um. Die Swiss rechnet mit einem mittelfristigen strukturellen Rückgang von 20 Prozent. Das Center für Aviation Competence an der Universität St. Gallen hat unter Leitung von Dr. Andreas Wittmer 500 Firmen nach ihrem künftigen Reise- und Meetingverhalten befragt. Die Antworten deuten auf einen möglichen Rückgang von zirka 30 Prozent auf der Kurzstrecke und etwa 20 Prozent auf der Langstrecke hin. Das deckt sich mit qualitativen Befragungen, die das Komitee Weltoffenes Zürich bei knapp einem Dutzend seiner Mitglieder durchgeführt hat. Sehr wichtig für die Planungen ist auch, wie die Klassenwahl ausfallen wird. Hier zeichnet sich ab, dass die Business Class weiter nachgefragt wird und die Economy Class verliert – zugunsten der von vielen Airlines neu geschaffenen Premium Economy, die etwas mehr Platz und Abstand bietet.

Diese Diskussionen müssen nüchtern geführt werden. Befremdend ist aber, dass gewisse luftfahrtkritische Politiker von der sachlichen Basis in eine Sphäre von Wunschdenken entschwinden. Vielstimmig sind plötzlich völlig aus der Luft gegriffene pauschale Aussagen zu hören wie jene, dass künftig ohnehin kaum mehr jemand fliegen wolle. Die aktuelle Schwäche der Luftfahrt und die virulente Gefahr für Volkswirtschaft und Arbeitsplätze wird nicht als Grund für Stärkungsmassnahmen gesehen, sondern als Chance, die Branche weiter in den Schwitzkasten zu nehmen. Das gefährdet unseren Wohlstand uns ist ein Hohn für die rund 25‘000 Mitarbeitenden, die alleine am Flughafen Zürich beschäftigt sind – und um ihren Job zittern.

Wichtig zu betonen ist:

1.) Auch nach der Krise werden die mehr als 10‘000 internationalen Unternehmen und Organisationen in der Schweiz sowie Tourismus, Bildung und Forschung auf eine gute Anbindung an die Welt angewiesen sein. Vor der Pandemie konnten von Zürich aus 200 Destinationen direkt angeflogen werden. Für die Qualität des Standorts Schweiz ist entscheidend, dass dieses Netzwerk möglichst weitgehend aufrechterhalten werden kann.

2.) Allein am Flughafen Zürich beschäftigen 300 Firmen rund 25‘000 Mitarbeitende und erarbeiten eine Wertschöpfung von etwa 5 Milliarden Franken. Die Mitarbeitenden zählen darauf, dass wir die Branche stärken statt abwürgen.

3.) Die Luftfracht ist für die Schweizer Exportindustrie lebenswichtig. Auch sie ist von einem intakten Gesamtsystem abhängig. Die auch vom Komitee Weltoffenes Zürich unterstützte Studie Luftfrachtlogistik Schweiz 2020 der Universität St. Gallen hat die Bedeutung belegt. 2019 hat die Schweizer Industrie Waren im Gesamtwert von 157 Milliarden Franken über Schweizer Flughäfen exportiert. Mit einem wertmässigen Anteil von rund 50 Prozent ist die Luftfracht der wichtigste Transportträger in der Schweiz.

4.) Die Nachfrage wird womöglich tatsächlich mittelfristig um zirka 20 % zurückgehen. Das ist einschneidend, darf aber keinesfalls mit der Aussage verwechselt werden, dass die Nachfrage schlicht nicht mehr da sein werde. Beispiel Flughafen Zürich: Im Jahr 2019 verzeichnete das interkontinentale Drehkreuz 31,5 Millionen Passagiere. Sollten tatsächlich 20 % wegfallen, läge die geschätzte Nachfrage bei zirka 25 Millionen Passagieren. Das wäre immer noch mehr als 2011 (24,3 Millionen) und nur wenig tiefer als 2016 (27,7 Millionen). Selbst wenn die Nachfrage um 30 Prozent zurückgehen sollte, läge der Wert bei immer noch über 20 Millionen Passagieren.

5.) Die obigen Zahlen belegen, dass der Flughafen Zürich ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt bleiben wird – und sie sind zudem mit Vorsicht zu geniessen. Verschiedene Trends dürften nämlich bewirken, dass sich die Nachfrage erholen wird. Kurzfristig gibt es sowohl im Freizeit- als auch im Geschäftsverkehr eine sehr hohe aufgestaute Nachfrage. Familien, Freundinnen und Freunde wollen sich endlich wieder treffen, KundInnen, PartnerInnen und Mitarbeitende in anderen Zentren wollen wieder besucht werden. Grundsätzlich ist die Reiselust hoch. Langfristig werden Wirtschafts- sowie Bevölkerungswachstum, fortschreitende Globalisierung (allen Unkenrufen zum Trotz) und aufstrebende neue Weltgegenden die Nachfrage ankurbeln. Darum ist so entscheidend, dass wir dem intakten Luftfahrtsystem Sorge tragen: damit wir bereit dafür sind, künftige Nachfrageentwicklungen abdecken zu können.

Von Abgesängen auf die Luftfahrt darf man sich also keinesfalls verführen lassen. Wer es tut, gefährdet unsere Anbindung an die Welt, Arbeitsplätze von Tausenden und letztlich unseren Wohlstand. Langfristig müssen wir die Basis schaffen, dass post Corona Entwicklung möglich sein wird. Kurzfristig ist entscheidend, die pauschalen Restriktionen aufzuheben und Sicherheit stattdessen mit gezielten Schutzmassnahmen zu erreichen im Sinne der Forderungen, die von der breit abgestützten Allianz Back in the Air aufgestellt wurden. Zentrale Postulate sind, dass frei reisen kann, wer geimpft, negativ getestet oder genesen ist und das in einem digitalen Impfzertifikat nachweisen kann. Setzen wir das so um, dann bringen uns die Wochen nach „Auffahrt“ hoffentlich tatsächlich „back in the air“.