Unter dem Titel Komitee-Stimmen äussern sich in diesem Blog Mitglieder des Komitees Weltoffenes Zürich regelmässig zu Themen, die wichtig sind für den Standort und dessen Anbindung an die Welt. Aktuell fragen wir nach bei Hans Hess, Präsident der Beratungsfirma Hanesco AG, mehrfacher industrieller Verwaltungsratspräsident, darunter auch beim Startup Synhelion SA, ehemaliger Präsident von Swissmem und seit 2002 Mitglied des Komitees Weltoffenes Zürich. Die Rubrik ist auch Teil des monatlich erscheinenden Newsletters des Komitees, der über diesen Link abonniert werden kann. Vielen Dank für das Interesse!
Herr Hess, Sie engagieren sich als Vorstand im Komitee Weltoffenes Zürich. Dessen Kernziel ist, die gute Anbindung Zürichs und der Schweiz an die Welt sicherzustellen. Was motiviert Sie, sich für ein weltoffenes Zürich zu engagieren?
Die kleine Schweiz ist vor allem dank ihrer Exporttätigkeit in die ganze Welt anerkannt und wohlhabend geworden. Auch nach Corona werden wir weiterhin zu unseren Kunden, Partnern Lieferanten und Mitarbeitenden in der ganzen Welt reisen wollen und müssen – und umgekehrt. Dabei kommt dem Flughafen Zürich als „Tor zur Welt“ weiterhin eine enorm wichtige Bedeutung zu.
Stichwort Weltoffenheit: Das Verhältnis der Schweiz zur EU wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung? Welche Lösungsansätze sehen Sie?
Europa ist mit Abstand unser wichtigster Export- und Import-Markt. Deshalb brauchen wir gute, tragbare und entwicklungsfähige Beziehungen mit unseren Nachbarn. Der Bilaterale Weg ist für die Schweiz die massgeschneiderte Lösung dazu. Damit wir diesen Weg den aktuellen Entwicklungen auf beiden Seiten anpassen und damit wir ihn weiterentwickeln können, braucht es auch eine Lösung zu den institutionellen Fragen. Denn die Bilateralen I waren nach dem Beitrittsgesuch des Bundesrates in die EU als „Zwischenlösung“ konzipiert. Da ein EU-Beitritt aber kaum stattfinden wird, müssen wir jetzt zusätzlich regeln, wie wir mit den unterschiedlichen Rechtsentwicklungen auf beiden Seiten umgehen, aber auch sicherstellen, dass die Schweiz sourverän entscheiden kann, wenn sie die Übernahme eines neuen EU-Rechts nicht will. Für diese Fälle braucht es Lösungen zur Streitbeilegung.
Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Im Moment nicht, und immer nur über die gleicht drei Punkte zu streiten, bringt uns wohl auch nicht weiter. Zudem hat das Dossier „Schweiz“ in der EU keine Priorität mehr. Dennoch drängt die Zeit für die Schweiz, weil der Wert der heutigen Abkommen sichtbar erodiert – ich denke etwa an das Forschungsabkommen oder die Anerkennung von Normen. Zudem sind wichtige Erweiterungen blockiert - Stichwort: Stromabkommen. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, die Verhandlungsmasse auszuweiten auf Themen, wo es weitere gemeinsame Interessen zwischen der Schweiz und der EU gibt, etwa auf die Themen Stromversorgungssicherheit, Digitalisierung, Datensicherheit, Klima, Gesundheit, etc. Es braucht eine breitere gemeinsame Vision als nur die institutionellen Fragen. Auf einer solchen gemeinsamen Interessenbasis sollte die Schweiz die EU bald zu neuen Verhandlungen einladen.
Bis 2020 haben Sie den Verband Swissmem präsidiert, den Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie verwandter technologieorientierter Branchen. Warum brauchen diese Branchen ein intaktes Luftfahrtsystem mit guter Direkt-Anbindung und funktionierender Luftfracht?
Viele Schweizer Exportfirmen, die sich im globalen Wettbewerb behaupten müssen, können aufgrund der hohen Lohn- und Lebenskosten in der Schweiz nicht mehr alle Bestandteile ihrer Produkte und Dienstleistungen in der Schweiz herstellen oder beschaffen. Deshalb müssen sie mit Partnern, Lieferanten und Kunden im Ausland zusammenarbeiten. Dazu braucht es aber ein funktionierendes Transportsystem, für leichte Güter vor allen auch in der Luft. Was es heisst, wenn dieses nicht mehr voll funktionstüchtig ist, erleben wir gerade in diesen Monaten.
Womit wir wieder bei der Luftfahrt sind. Sie sind auch Verwaltungsratspräsident der Synhelion SA. Synhelion, ein Spin-off der ETH Zürich, entwickelt und produziert in einigen Jahren synthetische Treibstoffe, darunter auch synthetischen Flugtreibstoff. Synhelion ist eine Partnerschaft mit dem Flughafen Zürich AG und der Lufthansa/Swiss/Edelweiss eingegangen, um diese mit synthetischem Kerosin zu versorgen. Was macht Synhelion genau und wie stufen Sie das Potenzial ein?
Synhelion hat die Entwicklung zur Herstellung synthetischer, auf Sonnenenergie basierender Treibstoffe abgeschlossen und befindet sich am Anfang der Industrialisierungsphase. Wir haben eben erfolgreich eine bedeutende Finanzierungsrunde abgeschlossen und werden mit diesen Mitteln in den nächsten Jahren verschiedene Produktionsanlagen in industriellem Massstab bauen und betreiben. Wenn das gelingt, könnte das ein sehr bedeutender Schritt in Richtung der Netto-Null-Ziele der Schweiz, Europas und der übrigen Welt bis 2050 werden.
Wie kann erreicht werden, dass synthetische Treibstoffe in genügender Menge zu konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung stehen?
Wir bauen zuerst selbst einige Anlagen, sehen jedoch ab 2025 auch ein Lizenzmodell vor, mit dem beispielsweise bestehende Hersteller von fossilen Treibstoffen auf synthetische Treibstoffe umstellen können. Wir wollen zusammen mit solchen Partnern die Produktion rasch skalieren, um in grossen Mengen synthetisches Kerosin und synthetisches Benzin herzustellen. Einer der grossen Vorteile synthetischer Treibstoffe ist, dass man diese ohne Zusatzinvestitionen auf den existierenden Wegen an die Flughäfen und Tankstellen verteilen und in existierenden Flugzeugen und Autos nutzen kann. Da eine Umstellung von null auf 100% unmöglich ist, sieht die Politik eine schrittweise Beimischung von synthetischem Kerosin zu fossilem Kerosin vor. Das macht Sinn. Weil wir die Energie zur Herstellung unserer Treibstoffe von der Sonne beziehen, die „unlimitiert“ und „kostenlos“ zur Verfügung steht, ist es unser Ziel, die Herstellosten mittelfristig unter einen Franken pro Liter zu bringen. Das würde wohl für viele Kunden zu akzeptable Preisen führen.
Was sind Stolpersteine, die von der Politik aus dem Weg geräumt werden müssen?
Der beste Anreiz für die teuren Investitionen in die Klima- und Energiewende ist ein höherer CO2-Preis, der auch in die fossilen Treibstoffe voll eingepreist wird. Falls das politisch nicht machbar ist, braucht es eine gewisse „Einspeisevergütung“ für synthetische Treibstoffe. Für neue Technologien braucht es auch gewisse Anschubfinanzierungen und eine Bereitschaft der öffentlichen Hand, in den ihr naheliegenden Betrieben diese neuen synthetischen Treibstoffe auch zu kaufen, wenn sie noch etwas teurer sind. Zudem muss es gelingen, den Emissionshandel so umzubauen, dass er kein mittelalterlicher „Ablasshandel“ mehr ist, in dem die Klimasünden „grüngewaschen“ werden. In erster Linie müssen die echten CO2-Reduktionen honoriert werden.