Komitee-Stimmen Folge 8: Martin Naville

Unter dem Titel Komitee-Stimmen äussern sich in diesem Blog Mitglieder des Komitees Weltoffenes Zürich regelmässig zu Themen, die wichtig sind für den Standort Zürich und dessen Anbindung an die Welt. Aktuell fragen wir nach bei Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, Präsident des Komitees Weltoffenes Zürich und Vorstandsmitglied von Aviationsuisse. Die Rubrik ist auch Teil des monatlich erscheinenden Newsletters des Komitees, der über diesen Link abonniert werden kann. Vielen Dank für das Interesse!

Herr Naville, die Coronapandemie dauert an, Omikron dominiert den Alltag, die Luftfahrt kämpft nach wie vor mit dieser Jahrhundertkrise. Bringt 2022 die Wende zum Besseren?

Prognosen zum Verlauf der Pandemie masse ich mir nicht an. Aber ich hoffe sehr, dass gerade mit der Omikron-Mutante die Pandemie endemisch wird – so dass wir mit ihr leben können, ohne unsere Freiheit einzuschränken. Wie das erfolgreich funktionieren kann, haben wir im Sommer und Herbst letzten Jahres gelernt und gut umgesetzt. Wir stehen der Pandemie nicht mehr machtlos gegenüber, wie dies im März 2020 der Fall war. Wie haben Instrumente wie die Impfung, den Booster, digitale Nachweise und Tests. Das sind Fortschritte, die ermöglichen, dass wir uns verantwortungsvoll austauschen und treffen können – und die auch internationale Reisen zulassen.

Reisen ist wieder zum Spiessrutenlauf geworden: Die Bestimmungen und Restriktionen ändern täglich und von Land zu Land.

Leider, ja. Dabei sind die Rezepte vorhanden. Der risikobasierte Ansatz, der wir im Frühling 2021 in der Allianz „Back in the Air“ forderten und den der Bundesrat im Frühling einführte, hat sich bewährt. Kern der Forderung ist, dass verlässliche Regeln gelten, die Planbarkeit bieten. Nicht zielführend sind  Reisebeschränkungen zwischen Ländern mit ähnlichem Ansteckungsrisiko – Flugverbote sind strikte abzulehnen, da sie einen Verkehrsträger benachteiligen und nichts bringen, Quarantänepflicht muss ultima ratio bleiben. Sicherheit soll über eine breit angelegte Impf-, Test- und Tracing-Strategie erreicht werden. Wer nachweislich geimpft, genesen oder negativ auf Covid-19 getestet ist, soll frei aus- und einreisen und sich in der Schweiz bewegen können. Die Luftfahrt- und Reisebranche hat zudem bewiesen, dass sie die Hygiene- und Schutzmassnahmen entlang der ganzen Reisekette durchsetzt, inklusive der Maskenpflicht.

Am sichersten wäre, zu Hause zu bleiben.

Ja, klar – aber was wäre denn das für ein Leben? Selbstverständlich muss stets auf die aktuelle epidemiologische Lage und die Belastung in den Spitälern Rücksicht genommen werden. Unser Ziel muss aber sein, baldmöglichst mass- und verantwortungsvoll in die Normalität zurückzufinden. Wenn alle zu Hause bleiben, gehen Sozialleben, Kultur und Arbeitsplätze verloren. Häufig wird ein Gegensatz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft konstruiert. Das ist Unsinn. Wir setzen uns nicht wegen einer abstrakten Wirtschaft für die Luftfahrt und die gute Verkehrsanbindung der Schweiz ein – sondern weil sie die Grundlage für unseren Wohlstand bilden. Hinter unserem Einsatz steht die Erkenntnis, dass Luftfahrt kein Selbstzweck ist, sondern dass vieles an ihr hängt: Wirtschaft, Bildung, Forschung, Tourismus, internationale Organisationen, Konferenzen, Kunst, Sport.

Können Sie das mit Zahlen untermauern?

Laut BAK Economics hat allein der Flughafen Zürich vor der Krise mehr als 27'000 Arbeitsplätze und eine jährliche Wertschöpfung von 5 Milliarden Franken generiert, was 3,5 Prozent des BIP des Kantons Zürich entspricht. Zudem werden rund 200 Destinationen mit Direktflügen erschlossen. Vor der Pandemie reiste jeder vierte Tourist, der in der Schweiz übernachtete, über den Flughafen Zürich ein. Auch der Bundesrat attestiert der Luftfahrt richtigerweise zentrale Bedeutung: Im luftfahrtpolitischen Bericht (Lupo) weist er aus, dass schweizweit annähernd 200'000 Arbeitsstellen respektive eine Wertschöpfung von über 30 Milliarden Franken mit der Luftfahrt im Zusammenhang stehen, indirekte Effekte mitgerechnet. Diese Krise zeigt, dass dies keine theoretischen Zahlen sind. Hinter diesen Zahlen stehen Arbeitsplätze, Menschen, unser Wohlstand.

Als CEO der Swiss-American Chamber of Commerce dürften Sie am 8. November 2021 ein Kreuz an die Decke gemacht haben – seit dann können geimpfte Europäer wieder unkompliziert in die USA reisen.

Um Kreuze an die Decke zu machen, ist es zu früh – das mache ich dann, wenn die Coronakrise definitiv unter Kontrolle ist. Aber tatsächlich, der 8. November 2021 bedeutet ein wichtiger Schritt zurück in die Normalität. Die Volkswirtschaften von Amerika und der Schweiz sind eng verflochten. Für die Schweiz sind die Nordatlantik-Strecken von strategischer Bedeutung. Vor 2020 war New York ab Zürich auf Platz 6 der Top-Destinationen – vor Paris, Frankfurt oder Barcelona. Das ist kein Zufall. Die USA sind heute der grösste Exportmarkt für die Schweiz – vor Deutschland.  Die USA sind die bedeutendste Destination für Schweizer Direktinvestitionen und amerikanische Firmen die grössten Direktinvestoren in der Schweiz. Mehr als ein Dutzend der grössten Firmen der Welt sind im Wirtschaftsraum Zürich angesiedelt. Top Unis, Fintech Start-ups, internationale Verbände, Forschung machen Zürich zu Zurich.

Von strategischer Bedeutung sind die Nordatlantik-Strecken auch für die Airline Swiss.

Ja, entsprechend wichtig ist die Öffnung der USA auch für sie. Und aus meiner Sicht ist erfreulich, dass die Swiss trotz nötigen Einschnitten ihrer Kernstrategie treu bleibt: Dank eines engen Netzes aus Kurz-, Mittel- und Langstrecke sollen weiterhin mehrmals täglich Ziele in Europa und mindestens einmal täglich Destinationen in anderen Kontinenten angeflogen werden.

Die Corona-Pandemie dominiert den Alltag. Es wird aber glücklicherweise eine Zeit nach Corona geben. Welche Themen sind für das Komitee Weltoffenes Zürich langfristig strategisch besonders wichtig?

Das Luftfahrtsystem hat Robustheit bewiesen. Das ist nicht gottgegeben. Die Politik muss die Entwicklung sicherstellen. Zentral sind die Themen Infrastruktur, Rahmenbedingungen und Ökologie. Im Luftfahrtpolitischen Bericht des Bundesrats, der 2016 aktualisiert wurde und der als zentraler Leitfaden in der Luftfahrtpolitik dient, ist die Coronakrise natürlich nicht berücksichtigt. Die Ziele gelten aber nach wie vor: Die Zivilluftfahrt ist für den Standort Schweiz von zentraler Bedeutung und muss sich nachfragegerecht entwickeln können. Aufstrebende Konkurrenz aus dem nahen und mittleren Osten und der Türkei bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und auch der schweizerischen Luftfahrt. Um sie zu unterstützen, müssen wir die Rahmenbedingungen günstig ausgestalten – engere Korsette bei den Betriebszeiten und Ähnliches ist strikte abzulehnen. Auch neue Abgaben, wie sie die Flugticketabgabe vorgesehen hätte, sind der falsche Weg. Wir unterstützen darum im Grundsatz den neuen Ansatz des Bundesrats, der auf synthetische Treibstoffe und im Einklang mit Europa eine Beimischpflicht vorsieht, dank der herkömmliches Kerosin mehr und mehr aus den Tanks der Flugzeuge verschwindet. Zudem ist die Infrastruktur weiterzuentwickeln – ich denke aktuell etwa an die nötigen und wichtigen Pistenverlängerungen am Flughafen Zürich. Sie erhöhen die Sicherheitsmarge, reduzieren die Komplexität, die Verspätungen und die Zahl der Lärmbetroffenen.