Komitee-Stimmen Folge 19: Martin Albers

Unter dem Titel "Komitee-Stimmen" äussern sich in diesem Blog Mitglieder des Komitees Weltoffenes Zürich regelmässig zu Themen, die wichtig sind für den Standort und dessen Anbindung an die Welt. Aktuell fragen wir nach bei Martin Albers, unabhängiger Berater und ehemaliges Mitglied der Geschäftsleitung von Swiss Re. Die Rubrik ist auch Teil des monatlich erscheinenden Newsletters des Komitees, der über diesen Link abonniert werden kann. Vielen Dank für Ihr Interesse!

Herr Albers, Sie engagieren sich als Mitglied des Komitees Weltoffenes Zürich. Dessen Kernziel ist, die gute internationale Verkehrsanbindung Zürichs und der Schweiz an die Welt sicherzustellen. Was motiviert Sie, sich für ein weltoffenes Zürich zu engagieren?

Die Schweiz ist ein kleines Land, das in einer "offenen Welt" floriert. Wir können unsere qualitativ hochstehenden Produkte und Dienstleistungen exportieren. Gleichzeitig können Touristen unser schönes Land besuchen. Der leistungsfähige Flughafen und die Mobilitätsinfrastruktur sind dazu Grundvoraussetzungen. Das zu unterstützen motiviert mich.

Stichwort Weltoffenheit: Das Verhältnis der Schweiz zur EU wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Das ist ein weites Feld! Wir sollten aus darauf zurückbesinnen, dass es in der Politik primär um Interessen geht. Im Weiteren muss unsere Strategie darauf zielen, unsere Verhandlungsposition zu stärken, namentlich bezüglich Diversifikation der Absatzmärkte, Stärkung der Energieversorgung, etc. Wir müssen bereit sein, mit harten Bandagen anzutreten. Das Ziel muss ein tragbares Gleichgewicht der Interessen sein, das Raum bietet für eine Schweizerische Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft. Taktisch müssen wir jedem Druck und Zeitdruck widerstehen.

Sie waren über 20 Jahre lang für die Swiss Re tätig, davon 10 Jahre in der Geschäftsleitung. Jetzt sehen Sie als unabhängiger Berater in viele Unternehmungen. Wie hat sich die internationale Verflechtung verändert? Und wie sehen Sie die Perspektiven – wird aufgrund der aktuellen Krisen und Unsicherheiten die Globalisierung rückgängig gemacht?

Die Verflechtungen haben zugenommen mit der globalen Arbeitsteilung. Dadurch wurde enormer Wohlstand in Entwicklungs- und Industriestaaten geschaffen. Die heutigen Krisen zeigen, wie leistungsfähig und wie sensibel das System ist. Die Grundvoraussetzungen sind durch die Krise in den Vordergrund getreten: Politische Stabilität, Energie, Daten und Informationen. Ich bin überzeugt, dass die Globalisierung nicht rückgängig gemacht, sondern verbessert wird. Exzesse werden rückgebaut und die Stabilität wird verbessert werden.

Ein zentrales Thema auch für die Luftfahrt ist die Dekarbonisierung. Die Luftfahrt muss ihren Teil zur Reduktion der CO2-Emissionen beisteuern. Welches Potenzial sehen Sie?

Ich sehe zurzeit keine Alternative zu Kerosin als Treibstoff für die Luftfahrt. Das grösste Potenzial sehe ich in der Verwendung von synthetischen Brennstoffen, die aus CO2 der Atmosphäre, Wasser und Sonnenenergie geschaffen werden. Die Technik ist bekannt und getestet, nun müssen die Anlagen skaliert werden, um grosse Volumen zu produzieren. Eine Verteuerung der Luftfahrt ist jedoch unumgänglich.

Einem Blick in die Kristallkugel gleicht die Frage, wie stark sich der Geschäftsreiseverkehr langfristig entwickeln wird. Werden sich Video-Calls langfristig etablieren?

Video-Calls haben sich schon etabliert: Es ist fast die Regel, dass man sich für kurze Präsenzen in Calls oder Konferenzen einwählt. Eine physische Präsenz muss schon fast gerechtfertigt werden! Viele Firmen ergreifen die Gelegenheit, Kosten zu sparen und den CO2-Fussabdruck zu verringern. Der Geschäftsreiseluftverkehr wird sich auf wesentliche Reisen beschränken, jedoch von dieser tieferen Basis mit der Wirtschaft wachsen. 

Und eine persönliche Frage: Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus den zwei zurückliegenden Pandemie-Jahren mitnehmen?

Zuerst einmal bin ich dankbar, dass in meinem Umfeld niemand wirklich krank wurde. Zudem vielleicht vier Gedanken: Erstens: Unsere hochentwickelte Gesellschaft und Wirtschaft ist weniger robust als wir dachten: schnell ist die Gesundheitsinfrastruktur überlastet; schnell haben Lieferengpässe einschneidende und langedauernde Konsequenzen. Daraus müssen wir lernen. Zweitens: Für die Bewältigung solcher Krisen muss man Güterabwägungen machen. Dazu braucht es Experten, aber auch gesunden Menschenverstand. Zur Lösungsfindung müssen wir einbeziehen, dass das Risikoverhalten der Menschen sehr verschieden ist. Drittens: Die Finanzkrise und die Pandemie haben zu Eingriffen der Politik in die Wirtschaft und das Privatleben geführt. Die Hemmschwelle für weitere Übergriffe ist gesunken. Die liberalen Grundsätze unserer Gesellschaft müssen vermehrt geschützt werden. Und viertens:  Der soziale Kontakt ist für uns Menschen essenziell. Das gilt im Privaten, aber auch für Unternehmen. Es braucht den sozialen Umgang zur Stärkung der Kultur und für eine effektive Führung. Die soziale und physische Präsenz fördert auch die Innovation. Viele innovative Ideen entstehen durch Zufälle im sozialen, physischen Kontakt.