Komitee-Stimmen Folge 10: Dr. Karin Lenzlinger

Unter dem Titel "Komitee-Stimmen" äussern sich in diesem Blog Mitglieder des Komitees Weltoffenes Zürich regelmässig zu Themen, die wichtig sind für den Standort und dessen Anbindung an die Welt. Aktuell fragen wir nach bei Dr. Karin Lenzlinger, Unternehmerin und Präsidentin der Zürcher Handelskammer. Die Rubrik ist auch Teil des monatlich erscheinenden Newsletters des Komitees, der über diesen Link abonniert werden kann. Vielen Dank für das Interesse!

Frau Lenzlinger, Sie engagieren sich als Mitglied des Komitees Weltoffenes Zürich. Dessen Kernziel ist, die gute internationale Verkehrsanbindung Zürichs und der Schweiz an die Welt sicherzustellen. Was motiviert Sie, sich für ein weltoffenes Zürich zu engagieren?

Sowohl als Präsidentin der Zürcher Handelskammer als auch als Unternehmerin respektive mehrfache Verwaltungsrätin ist mir bewusst, wie wichtig die internationale Vernetzung ist. Aus Überzeugung setze ich mich dafür ein, dass die Schweizer Luftfahrt und insbesondere der Flughafen Zürich die Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass sich die Infrastruktur entwickelt und das 45 Jahre alte Pistensystem modernisiert werden kann. Auch nach Corona wird die globale und zuverlässige Erreichbarkeit für den Wirtschaftsraum Zürich zentral sein.

Stichwort Weltoffenheit: Das Verhältnis der Schweiz zur EU wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Die EU ist unser wichtigster Handelspartner – beide Seiten brauchen stabile Beziehungen. Die aktuelle Entwicklung ist bedrohlich. Der Ausschluss aus Horizon Europe schadet unserem Forschungsstandort. Ich hoffe sehr, dass sehr bald eine ausgewogene Lösung gefunden wird. Auch die Verfügbarkeit von internationalen Fachkräften ist für unseren Standort elementar. Dass der Bundesrat die EU mit dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen brüskierte, ist für mich unverständlich. Aber auch die unkonstruktiven Retorsionsmassnahmen der EU schaden allen Beteiligten. Darum braucht es nun hüben wie drüben lösungsorientierte  Ansätze und einen Plan, wie wir die zentralen Fragen schrittweise lösen können. Auch mit Blick auf das grosse Bild ist der Streit ärgerlich. Wir stehen geopolitisch vor grossen Herausforderungen. Da kann es doch nicht sein, dass wir uns in Europa gegenseitig das Leben schwer machen.

Ein zentrales Thema auch für die Luftfahrt ist die Dekarbonisierung. Die Luftfahrt muss ihren Teil zur Reduktion der CO2-Emissionen beisteuern. Dieses Megathema soll auch im geplanten Innovationspark in Dübendorf aufgenommen werden – im Fokus stehen moderne Lösungen für die Mobilität am Boden und in der Luft. Welches Potenzial sehen Sie?

Das Potential ist sehr gross. Die Entwicklung alternativer Treibstoffe ist ein Megathema, das uns lange beschäftigen wird. Mit unserem starken Forschungs- und Innovationsplatz sollten wir den Anspruch haben, die Entwicklung mitzuprägen. Genau dies soll im Innovationspark Dübendorf passieren. Die Themenvielfalt im Innovationspark ist aber breiter. Im Fokus stehen neben Luft- und Raumfahrt auch Produktionstechnologien sowie Robotik. Der Grossraum Zürich wird nicht umsonst auch „Silicon Valley of Robotics“ genannt. Die Ambitionen finde ich erfrischend. Wichtig wird sein, dass die Wege zwischen Forschung, Entwicklung und Investoren kurz sind – so dass Ideen auch umgesetzt werden können. Auch für die Zürcher Handelskammer ist der Innovationspark ein Schwerpunktthema. Wir versprechen uns wertvolle Impulse, die weit über Dübendorf hinausgehen und den Wirtschaftsraum Zürich beleben.

Einem Blick in die Kristallkugel gleicht die Frage, wie stark sich der Geschäftsreiseverkehr nach der Pandemie wieder entwickeln wird. Werden sich Video-Calls langfristig etablieren oder haben alle genug davon – und es gibt wieder ähnlich viele physische Sitzungen wie vor der Pandemie?

Global gesehen wird der Flugverkehr langfristig wachsen, getrieben von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie zunehmender internationaler Vernetzung. In der Schweiz wird der Geschäftsreiseverkehr wahrscheinlich trotz Nachholeffekten nicht sofort wieder auf das Niveau von 2019 zurückkehren. Dass Geschäftsreisen auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft werden, ist auch richtig. Letztlich sind wir aber auch im Geschäftsleben Menschen und wollen unser Gegenüber nicht nur am Bildschirm sehen. Sitzungen, an denen eine Traktandenliste abgearbeitet wird, funktionieren bestens und effizient via Zoom. Wenn Sie aber neue Beziehungen aufbauen oder wenn Sie verhandeln wollen, wenn Teams kreativ etwas erarbeiten oder kontrovers diskutieren sollen, ist der direkte physische Austausch aber nach wie vor wichtig. Inklusive der Kaffeepause oder dem Mittagessen.

Die Handelskammer wird 2023 ihr 150-Jahre-Jubiläum feiern. Was braucht es, damit der Standort Zürich auch in Zukunft gut dasteht?

Ganz grundsätzlich ist aus meiner Sicht zentral, dass Wirtschaft und Menschen nicht mehr als Antipoden verstanden werden. Die Linke zelebriert diesen vermeintlichen Gegensatz und wird ihn in den Diskussionen um die Begleitmassnahmen zur Einführung der OECD-Mindesteuer bewirtschaften. Diesem destruktiven Populismus, der Arbeitsplätze gefährdet, müssen wir kraftvoll, geschlossen und glaubwürdig gegenübertreten. Die Wirtschaft ist nicht gegen die Menschen – sie ist für die Menschen: Sie bietet ihnen Beschäftigung, Einkommen, gute Rahmenbedingungen und letztlich Wohlstand. Alle, die dies fördern wollen, sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, damit wir nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander.